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Heuberger Bote | 9. Juli 2013


Fast blind und doch Fußballtrainer

Alfred Weggel betreut die C-Jugend des TV Wehingen und einen autistischen Jungen

Alfred Weggel am Computer
Alfred Weggel kann am Computer nur arbeiten, wenn er die Schrift stark vergrößert. (Foto Michael Hochheuser)

Von Michael Hochheuser

Wehingen. Ein Blinder, der Schulbegleiter für einen autistischen Jungen ist und zudem als Fußballtrainer die C-Jugend des TV Wehingen betreut – manch einer dürfte diese Geschichte ins Reich der Fabel verweisen. Aber sie stimmt.

Alfred Weggel ist der Mann, der sich vergangenes Jahr sagte, „dass ich irgendetwas machen muss“. Die Sehkraft des Wehingers hat in den vergangenen Jahren immer mehr nachgelassen. Die ersten Symptome habe er mit Ende 20 gespürt, erzählt er. Damals spielte er in der Nähe von Ingolstadt noch Fußball. In der Verbandsliga, fügt der 55-Jährige hinzu. „Es fing damit an, dass ich meine Mitspieler nicht mehr erkannte.“

Es stellte sich heraus, dass Weggel eine seltene Augenkrankheit hat, die nach und nach das Scharfsehzentrum zerstört. Und die offenbar genetisch bedingt ist, „denn mein älterer Bruder hat sie auch“. Vor vier Jahren musste Weggel, der seit 1989 in Wehingen lebt, seinen Beruf als Medizinprodukte-Berater eines Tuttlinger Sanitätshauses aufgeben. „Bis damals bin ich noch Auto gefahren – dass ich das nicht mehr kann, ist das Schlimmste für mich, weil ich immer auf andere angewiesen bin.“

Heute kann der Rentner gerade noch vier Prozent sehen – Gesichter etwa kann er nur schemenhaft erkennen. „Damit gelte ich als blind“, verweist er auf das „BL“ in seinem Schwerbehindertenausweis. Auch seine Frau Jutta hat nur noch ein Sehvermögen von gut zehn Prozent. Die Gefahr, dass ihm auch der letzte schmale Rest Sehkraft abhanden käme, bestehe wohl nicht, sagt Weggel. Er habe sich mit der Situation arrangiert. „Und Depressionen habe ich deshalb noch nie gehabt.“

Doch der Zeitpunkt kam, an dem der Wehinger nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben wieder etwas Sinnvolles anfangen wollte. Von einer Freundin habe er 2012 erfahren, dass deren Bekannte, die als Schulbegleiterin arbeitete, in Mutterschutz ging. „Das wäre doch was für dich“, sagte sie. „Erst habe ich gezögert, weil ich so schlecht sehe – aber dann habe ich mir gedacht, dass ich es ausprobieren muss: Mehr als schiefgehen konnte es ja nicht.“

Seit Januar ist Alfred Weggel nun an vier Vormittagen in der Woche als Schulbegleiter für den 15-jährigen Lukas aus Deilingen unterwegs. Der Junge ist Autist. „Er ist ein totales Mathe-Ass“, erzählt der Wehinger. Allerdings eines mit „Aussetzern – dann ist es meine Aufgabe, ihn zurückzuführen, damit er wieder aufmerksam ist und im Unterricht mitmacht“. Der Junge geht auf die Realschule Gosheim-Wehingen. „Wir treffen uns vor der Schule, ich fahre mit dem Schulbus dorthin.“ Zweimal die Woche hilft er ihm auch bei den Hausaufgaben. Am PC arbeitet Weggel mit Zoom-Text, sehr großen Buchstaben, da er normale Schrift nicht erkennen kann. „Da brauche ich natürlich länger zum Lesen – aber es ist alles Übungssache.“

Seitens der Schulleitung und der Lehrer sei sein Einsatz als Schulbegleiter „kein Problem“ gewesen. „Dann würden die Unterlagen für den Unterricht halt größer kopiert“, hieß es. Der 55-Jährige ist der einzige Schulbegleiter an der Realschule Gosheim-Wehingen. Was ihn ärgert, ist, dass sein Schützling „gerade dabei ist, einen Beruf zu finden, aber die meisten Arbeitgeber Abstand nehmen, wenn sie erfahren, dass er Autist ist“.

Seit 2012 ist er Trainer

Dass man sich von einer schweren Behinderung nicht unterkriegen lassen muss, beweist Alfred Weggel noch in anderer Hinsicht: 2012 hat er beim Bayerischen Landessportverband den Fußballtrainer-Schein gemacht. Ob der Verband nicht gezögert habe, weil er blind ist? „Sie hätten auch schon Taube da gehabt“, sei die Antwort gewesen. Gemeinsam mit einem ebenfalls blinden Freund absolvierte der Wehinger die Ausbildung, „die schriftliche Prüfung haben wir halt mündlich gemacht“.

Der TV Wehingen sei auf ihn zugekommen, „weil die D-Jugend einen Trainer brauchte“. Seit November trainiert er die Jungs, die inzwischen als C-Jugend spielen. Die Arbeit teilt er sich mit Martin Hayer, „mein Part ist die Koordination und die Kondition der Spieler“. Blinde Schiedsrichter hat die Welt ja schon gesehen – aber blinde Trainer? Weggel weiß um sein Handicap: „Wenn ein Spieler auf der anderen Seite des Platzes einen Fehler macht, sehe ich das nicht“, räumt der Fußballtrainer ein. Aber blöde Sprüche seiner Spieler muss er sich nicht anhören. „Ich habe Autorität – die wissen ganz genau, dass sie sonst ein paar Runden um den Platz laufen müssen.“

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